Rund 500 Senioren aus dem Erzbistum Berlin pilgerten zur Schutzmantel-Madonna von Alt-Buchhorst. Dort feierten sie ihren Glauben und die Gemeinschaft.
Seit 23 Jahren komme ich zur Seniorenwallfahrt“, erzählt eine alte Dame und stützt sich auf ihren Gehstock. Sie freut sich auf gute Gespräche und besonders auf die Eucharistiefeier: „Ich gehöre zu einer kleinen Gemeinde, wir haben nicht mal sonntags eine heilige Messe.“ In „AB“, wie das Kinder- und Jugendhaus des Erzbistums in Alt-Buchhorst liebevoll genannt wird, den Gottesdienst in so großer Gemeinschaft zu feiern, nennt sie „ein Geschenk des Himmels“.
Eine Jugendliche im gelben Helfer-T-Shirt begleitet sie umsichtig und liebevoll zur Anmeldung. Auf der Postkarte, die sie dort erhält, steht in ungelenker Kinderschrift ein Gruß von Marie. Marie wünscht einen „coolen Tag“ und dass sie „schön gesund“ bleiben solle. Teilnehmer der Familienwallfahrt des Erzbistums, die drei Tage zuvor stattgefunden hatte, haben die Karten geschrieben. „So einen lieben Gruß habe ich ja schon lange nicht mehr erhalten“, freut sich die Empfängerin.
Hier und da bricht Wiedersehensfreude aus: „Wir haben uns ja ewig nicht gesehen.“ Zwei Ehepaare aus dem Oderbruch begrüßen sich mit lautem Hallo. Einer von ihnen kommt zur Sache: „Es heißt, man soll in Würde altern. Vielleicht weiß der Bischof, wie das geht, der ist ja auch schon 70“, meint er mit einem Augenzwinkern. „Im Ernst: Ich finde, der predigt echt gut, er moralisiert nicht so rum, sondern macht Hoffnung. Davon kann man nicht genug kriegen in dieser irren Zeit.“ Außerdem sei man auf dem Land ziemlich allein auf weiter Flur, ergänzt seine Frau und lacht: „Wo wir herkommen, gibts mehr Kühe als Katholiken.“ Die vier suchen sich schattige Plätze vor der Altarbühne.
Neben dem Altar steht die Figur der Schutzmantel-Madonna in gelb-weißem Blumenschmuck. Die Statue des Künstlers Rudolf Heltzel wurde 1937 vom damaligen Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing gesegnet und dem Christian-Schreiber-Haus übergeben als Trost und Schutz in dunkelster Zeit.
Inzwischen sind die gut 80 Fußwallfahrer nach etwa einstündigem Wallfahrtsweg angekommen. Prälat Stefan Dybowski berichtet von den Gedanken unterwegs: „Unsre Hände, die früher so viel getan haben, müssen wir nun immer öfter in den Schoß legen. Die Kräfte lassen nach. Aber im Herzen die Menschen lieb haben – das können wir.“
In seiner Predigt beschreibt Erzbischof Heiner Koch Maria als vom Heiligen Geist erfüllte Frau: „Durch den kreativen Geist Gottes entsteht neues Leben. Mit dieser Kraft, die auch jede und jeden von uns erfüllt, können wir zum Segen werden.“ Während er zur Hoffnung ermutigt, ziehen dunkelgraue Wolken auf. Helfer teilen Regenponchos aus, der Bischof bricht die Predigt ab, „bevor der Segen von oben noch intensiver kommt“. Die Wandlung wird vom Donnergrollen begleitet, die Kommunion noch halbwegs im Trocknen ausgeteilt. Als alle einen Platz im Haus gefunden haben, prasselt der Regen herab. „Kein Problem“, erklärt eine Seniorin aus Berlin, „wir haben doch schon einige Unwetter erlebt“. Sie freut sich, schon Bekannte getroffen zu haben, „zum Beispiel unsren ehemaligen Pfarrer, der nun mit den Senioren seiner neuen Gemeinde hier ist“.
Als der Regen aufgehört hat, ziehen alle wieder um, diesmal ins große Veranstaltungszelt, wo die Tische fürs Mittagessen gedeckt sind. Doch statt „Segne, Vater, diese Gaben“ erklingt „Viel Glück und viel Segen“: Mit großem Blumenstrauß gratuliert der Erzbischof Heidrun Klinkmann, Inhaberin der Berliner Buchhandlung „Sonnenhaus“, zum 80. Geburtstag. Ihr Vater Rudolf Ziegler hatte den katholischen Buchladen gegründet und am 2. Mai 1925 das erste Buch verkauft. Dafür, dass sie trotz mannigfaltiger Schwierigkeiten „diese so besondere Buchhandlung in der Familientradition weitergeführt und uns Leser nie im Stich gelassen“ habe, dankt ihr der Erzbischof.
Ein Ort mit Geschichte(n)
Von familiären Traditionen lebt auch die Wallfahrt. Ein Mann aus Neuruppin stellt gleich drei Generationen vor: „Meine Frau und unsere Tochter, sie hat sich extra einen Urlaubstag genommen, und unsre jüngsten Enkel.“ Seine Frau erzählt, dass der Ort schon für ihre Eltern wichtig war: „In der Nazizeit hat sich die katholische Jugend hier Kraft zum Widerstand geholt.“ Sie selbst habe „AB“ als einen Raum erlebt, an dem die freie Rede und Opposition gegen die DDR-Ideologie möglich waren. „So oft wir konnten, sind wir hierher gefahren. Als Kinder zur RKW, dann zu Jugendwochenenden und Kursen, später mit unserer Tochter zur Familienwallfahrt. Ich denke, für ganz viele Ossis ist es ein Herzensort.“ Ihr Mann schmunzelt: „Haste schön gesagt, aber Grillen, Baden, Boot fahren und sich Verknallen gabs auch.“
Heute ist das Christian-Schreiber-Haus ein Treffpunkt für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sowie für Haupt- und Ehrenamtliche. Seminare, Workshops oder Jugendfreizeiten finden hier statt. „Wie ein Baum am Wasser gepflanzt“ (Jer 17,8) ist ein biblisches Bild, das zum Haus am Peetzsee passt und zu den hohen alten Bäumen auf dem Grundstück.
Pünktlich zur Wallfahrtsstunde werden Regenschirme zu Sonnenschirmen. Vor der Bühne werden Lieder gesungen, die viele noch aus ihrer Jugend kennen, in der Aula wird ein kirchenhistorischer Vortrag angeboten und in der Kapelle kann man „mit Maria durch das Jahr“ ziehen.
In der Abschlussandacht fasst Prälat Dybowski die Botschaft des Tages so zusammen: „Gott sagt zu jedem Menschen ‚Du bist für mich einzigartig‘. Vergessen Sie das nicht.“ Dann holt der Erzbischof den Segen nach, der in der Wallfahrtsmesse ins Wasser gefallen war. „Heute habe ich erlebt, dass ich doch nicht allein bin. So Gott will, bin ich nächstes Jahr wieder dabei“, resümiert die alte Dame, die sich so sehr gefreut hat über den Gruß der kleinen Marie.