Gregor Engelbreth (59) ist seit zweieinhalb Jahren Leiter des Katholischen Büros Berlin-Brandenburg. Ihn beschäftigen vor allem Themen an der Schnittstelle zwischen katholischer Kirche und der Politik in Berlin und Brandenburg. Die letzten eineinhalb Jahre seiner Amtszeit waren von der Corona-Pandemie geprägt, da lag ein Schwerpunkt in der Abstimmung mit den staatlichen Stellen über Regelungen des kirchlichen Lebens unter Pandemie-Bedingungen. Aber jenseits davon gibt es aus seiner Sicht ein breites Spektrum an politischen Themen, für die sich nicht nur das Katholische Büro stark machen sollte, sondern auch die Pfarreien vor Ort. Der gebürtige Berliner plädiert für ein stärkeres lokalpolitisches Engagement.
Welche Themen beschäftigen Sie an der Schnittstelle zwischen katholischer Kirche und der Politik in Berlin und Brandenburg?
Die letzten eineinhalb Jahre meiner Amtszeit waren von der Corona-Pandemie geprägt, dadurch ergab sich ein Schwerpunkt in der Abstimmung mit den staatlichen Stellen über Regelungen des kirchlichen Lebens unter Pandemie-Bedingungen. Aus meiner Sicht ist dies in fairem Austausch erfolgt, auch wenn manche notwendigen Einschränkungen sehr bitter waren. Auch Maßnahmen, die wir selbst ergreifen mussten, sind ein Ausdruck unseres Einsatzes für den Schutz des Lebens.
In Berlin gehören die Verhandlungen über einen Staatsvertrag zur Konkretisierung der Regelung des Instituts für katholische Theologie an der HU zu meinen Aufgaben. Dazu kommen Aufgaben wie die Organisation gemeinsamer Veranstaltungen, z.B. Diskussionen mit Vertreter*innen von Kirchen und Politik, das Werben um Verständnis für kirchliche Fragen auf staatlicher Seite und umgekehrt. Immer wieder geht es darum, Begegnung zu schaffen, Vertrauen aufzubauen bzw. zurückgewinnen – nicht zuletzt in der konsequenten Aufarbeitung des Missbrauchs u.a. durch Gespräche zur Umsetzung der Vereinbarung zwischen der Bischofskonferenz und dem Unabhängigen Beauftragten der Bunderegierung.
Eine Erkenntnis ist: Unsere Anliegen müssen klar formuliert sein, gerechtfertigt werden und den Wert des kirchlichen Handelns für die gesamte Gesellschaft herausarbeiten. Es ist nicht selbsterklärend, selbst wenn unsere Absichten auf das Gemeinwohl zielen. Kirchliches Engagement in der Bildung z.B. ist ein Feld, in dem wir hohe Expertise haben und viel bewegen können, aber auch eine faire Beteiligung des Staates an den anfallenden Kosten erwarten können.
Im September gab es Neuwahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zum Bundestag. Was erwarten Sie von der neuen Bundes- und Landesregierung aus Sicht der Kirche – sowohl bezogen auf das Erzbistum als auch auf Bundesebene?
Der rote Faden muss aus meiner Sicht das Subsidiaritätsprinzip sein. Im Bildungsbereich bedeutet das z.B., kirchliche Schulen als Teil einer heterogen Bildungslandschaft und Bereicherung zu verstehen und deren auskömmliche Finanzierung sicherzustellen. Richtschnur sollte eine Gleichbehandlung aller Träger sein, d.h. eine Finanzierung unabhängig davon, ob Leistungen durch staatliche, kommunale oder freie Träger erbracht werden. Als Kirche sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen und aus Kirchensteuermitteln, also Mitteln unserer Mitglieder, auch finanziell unseren Teil am Fortkommen der gesamten Gesellschaft beizutragen.
Wie schätzen Sie die politische Rolle und Verantwortung der katholischen Kirche insbesondere in Berlin als Hauptstadt, aber auch im Erzbistum mit seinen stark gegensätzlichen Ausprägungen ein?
Bundespolitische Themen werden vorrangig von unseren Kolleginnen und Kollegen vom Katholischen Bundesbüro bearbeitet.
In Berlin sind wir als Kirche aufgerufen, an den Themen mitzuarbeiten, die die Menschen bewegen und ihnen Sorgen bereiten. Dies sind insbesondere gute Bildung, bezahlbares Wohnen und eine notwendige Änderung unseres Lebensstils, um nachfolgenden Generationen eine intakte Umwelt zu hinterlassen.
In Brandenburg stehen in den nächsten Jahren große Umbrüche an, z.B. durch den Ausstieg aus der Braunkohleförderung in der Lausitz. Hier sehe ich uns in der Pflicht, Sorgen und Ängste ernst zu nehmen, Raum für Austausch zu schaffen und den Menschen Mut zu machen, Veränderungen mit zu gehen.
Grundsätzlich können wir als Kirche versuchen, eine Klammer zu bilden zwischen Regionen und auch Gruppen in der unserer Gesellschaft, die weiter auseinanderdriften. Das fängt an bei der Sorge vor dem Abgekoppeltwerden – wir können und wir müssen dem Zuversicht, aber auch praktische Angebote entgegensetzen! Dazu gehört natürlich der Einsatz und die Unterstützung für Menschen, die ihre Rechte nur schwer selbst wahrnehmen können – vor Ort in unseren Pfarreien, in der praktischen Arbeit durch die Caritas oder auch als kirchlicher Fürsprecher im politischen Raum.
Nicht zuletzt haben wir den Auftrag, uns für unsere Demokratie einzusetzen und jenen entgegen zu treten, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewusst schlecht reden und torpedieren.
Wichtig ist hierbei, dass wir uns aus dem „Kirchensprech“ heraus bewegen, anschlussfähig für die Menschen sind.
Warum sollten die Pfarreien sich stärker (lokal)politisch engagieren?
Die Kirche ist weiterhin eine der großen Institutionen in der Gesellschaft, die sich zudem auch nicht vorrangig an eigenen oder wirtschaftlichen Interessen ausrichtet, sondern versucht, die Gesellschaft als Ganzes in den Blick zu nehmen.
Eine Beteiligung am gesellschaftlichen und politischen Leben auf allen Ebenen ist daher eine Selbstverständlichkeit. Eine Pfarrei muss daher meines Erachtens den Ehrgeiz haben, die Gesellschaft vor Ort, also im Stadtbezirk oder Landkreis, mitzugestalten.
Es sind durchaus auch Menschen aus unseren Pfarreien und Verbänden politisch aktiv. Vielfach wird dies jedoch nicht als originäre Aufgabe der Pfarreien wahrgenommen. Als Kirche bewegen wir uns doch nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern sind ein Teil von ihr!
Sie haben ein Arbeitspapier entwickelt zur stärkeren Vernetzung zwischen Pfarreien und der Lokalpolitik/Gremienarbeit in Berlin und Brandenburg. An wen richtet sich das und was möchten Sie damit bezwecken?
Pfarreien und Gemeinden sind selbst auch Teil des gesellschaftlichen Lebens und Zentren ehrenamtlichen Engagements. Durch jahrzehntelanges Ehrenamt sowie dem Umgang mit den sozialen Problemen in ihrem Einzugsgebiet bzw. auf Kommunalebene (z.B. Seelsorge, Leben im Alter, Pflege, Bildungsarbeit, Armutsthemen und Integration von Schutzsuchenden) wurde umfangreiches Praxiswissen gesammelt, das wir als Kirche der Gesellschaft zur Verfügung stellen sollten. Das Engagement vor Ort ist auch eine Frage unserer Glaubwürdigkeit!
Oftmals wissen Gemeindemitglieder nicht, wie viele Möglichkeiten es gibt, sich in gesellschaftlichen sowie politischen Gremien zu engagieren. Zur Lokalpolitik gibt es oft wenig Austausch, selbst wenn Kommunalpolitiker Mitglieder einer Pfarrei sind.
Der Diözesanrat, in dessen Sachausschüssen ja schon länger Schnittstellen zur Politik aufgebaut und gesellschaftliche Themen besprochen werden, kann hierbei unterstützen. Gerne steht auch das Katholische Büro Berlin-Brandenburg bei der Anbahnung von Kontakten zur Verfügung.
Sie sagen, es sei „wünschenswert, dass es eine verstärkte Vernetzung zwischen den Gemeinden mit Bezirkspolitkern sowie der Beteiligung in Gremien gäbe.“ Wie könnte diese praktisch aussehen? (Gerade im Hinblick auf die Orte kirchlichen Lebens/Verbände…) Wie könnten entsprechende Veranstaltungsformate aussehen?
Es gehört zu den Aufgaben des Pfarreirates, politische Kontakte aufzubauen und zu pflegen – ähnlich wie in der Ökumene. Was ein Pfarreirat beschließt, sollte stets auch im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Politik und Gesellschaft bedacht werden.
Es bedeutet nicht unbedingt, dass der Pfarrer oder das hauptamtliche Personal eine zusätzliche Aufgabe wahrnehmen müssen. Sonst besteht die Gefahr, dass die Außenvertretung der Pfarrei am Terminkalender oder sonstigen Aufgaben der Hauptamtlichen scheitert. Praktisch könnten Ehrenamtliche damit beauftragt werden, eine gute Vernetzung zwischen Pfarrei und Kommunalpolitik zu koordinieren. Aufgabe des Pfarreirates wäre dann, sich regelmäßig mit diesen Beauftragten auszutauschen und sie zu unterstützen.
Dabei sehe ich zwei Ebenen: Einerseits die klassische Lokalpolitik, wo es darum geht, Kontakt zu halten, an Veranstaltungen teilzunehmen oder in Gremien (z.B. thematischen Ausschüssen, Arbeitskreisen) mitzuarbeiten. Umgekehrt kann man Verantwortliche aus der Politik in die Pfarrei einladen. Andererseits gibt es die zivilgesellschaftliche Komponente. Hier kann eine Gemeinde oder Pfarrei Initiativen begleiten, ihr Interesse an Themen im Sozialraum bekunden und Strukturen bereitstellen. Räumlichkeiten werden z.B. häufig benötigt, um Zusammenkünfte, Veranstaltungen oder Angebote stattfinden lassen zu können.
Ich möchte nochmals betonen, dass ich das nicht für eine fakultative Aufgabe halte. Kirchengemeinden sind nicht nur für Katholiken da, wie auch der Erzbischof von Berlin nicht nur für die Katholiken von Berlin. Als Kirche haben wir eine Verantwortung für alle Menschen, die in auf unserem Pfarreigebiet leben! Papst Franziskus betont dies mehrfach, wenn er davon spricht, an die Ränder zu gehen.
In letzter Zeit wird immer wieder eine Verbindung von konservativen Kräften und (rechts)populistischen Kreisen/Parteien hergestellt. Was kann die Kircher aus Ihrer Sicht tun, um an der Stelle klar zu sein?
Um es mit Franziskus zu sagen: Wir müssen die Realität anschauen. Probleme müssen wahrgenommen und Antworten darauf gegeben werden. Probleme zu ignorieren führt erfahrungsgemäß zu keinen Lösungen. Dies betrifft Klimaschutz und Ökologie genauso wie unterschiedliche politische Strömungen in der Kirche. Eine Bandbreite an politischen Ansichten in unserer Pfarrei führt bei geschwisterlichem Ringen häufig zu guten Lösungen.
Dort, wo allerdings unter Berufung auf Meinungsfreiheit die Menschenwürde Anderer angegriffen, die Demokratie als solche infrage gestellt oder verächtlich gemacht wird, ist Dialog nicht mehr möglich. Da wird eine rote Linie überschritten.
Mein Plädoyer ist, dass kirchliche Gremien sich auch mit gesellschaftlichen und politischen Fragen auseinandersetzen.
Herr Engelbreth, vielen Dank für das Gespräch!