„Sie passt zu uns“ - Edith Stein ist die Patronin der neuen Pfarrei im Süden Neuköllns

Immer an der U7 lang. Wie an einer Schnur aufgereiht sind sie, die Pfarrgemeinden Bruder Klaus, St. Dominicus und St. Joseph im Süden Neuköllns. Im Januar 2021 werden die drei Gemeinden mit allen ihren Orten kirchlichen Lebens zur Pfarrei Heilige Edith Stein. Edith Stein hat das Rennen gemacht vor Katharina von Siena und Hildegard von Bingen. Woran mag das gelegen haben?

Um die neue Patronin noch besser kennen zu lernen, finden im November Edith-Stein-Wochen statt. Mit vielfältigen Angeboten wie einem Evensong als musikalisches Abendgebet, Vorträgen und Diskussionen, zum Beispiel zum Wandel des Frauenbilds und Edith Steins emanzipatorischen Ambitionen oder einem Firmseminar über die „radikale Heilige“. Jugendliche, die das Katholische Schulzentrum Edith Stein besuchen, haben da einen Vorsprung, während Erwachsene sich oft erst mit ihrer künftigen Patronin beschäftigen müssen.
Highlight der Edith-Stein-Wochen ist das Kunstprojekt „Frauen über eine Frau: Edith Stein“, das in die Bruder-Klaus-Kirche gezeigt wurde. Künstlerinnen  aus Deutschland und Polen haben sich mit dem Leben Edith Steins beschäftigt – Malerinnen, eine Bildhauerin, eine Fotografin, eine Literatin. Zur Vernissage am Fest Allerheiligen konnten sie auf Grund der Pandemie nicht nach Berlin kommen. Also mussten sich die Besucherinnen und Besucher selbst Gedanken machen zu den Artefakten.

Zum Beispiel zu den Rettungswesten aus Pappe, die aufgereiht wie große Dominosteine an der Kirchenwand stehen. „Hm, Rettungswesten in der Kirche. Könnte heißen: Die Kirche rettet Menschen, also Kirchenasyl, Kirchen als Schutzräume“, sinniert Gregor Thieme, „kann aber auch heißen, dass die Kirche noch zu wenig tut“. Die Künstlerin Gudrun Schuster hat ihre Installation „Ideale“ genannt. Im Katalog zur Ausstellung schreibt sie von ihrer Bewunderung für Edith Steins Klarheit, „Lebensentscheidungen zu treffen, Gegensätze zu leben, rational und kontemplativ zu denken“. Sie habe ihre Ideale von Freiheit und Verantwortung kompromisslos bis in den Tod gelebt. Auch deshalb wurde sie die Patronin „unseres gemeinsamen Hauses Europa, das heute leider dennoch in seinen Grundfesten wankt“.

Beim Stichwort „kompromisslos“ warnt die Philologin und Theologin Aleksandra Chylewska-Tölle davor, Edith Stein eine „Brückenbauerin“ zu nennen: „Das ist sie für Juden nicht, für sie ist sie eine Verräterin.“ Selbst ihre Mutter habe mit ihr gebrochen: „Als Karmelitin Teresia Benedicta vom Kreuz hat Edith Stein drei Jahre lang jede Woche einen Brief an ihre Mutter in Breslau geschrieben, um Versöhnung gebeten - und nie eine Antwort erhalten. Das tut weh.“ Im Kloster musste sie sich auch mit Mitschwestern auseinandersetzen, die antisemitisch dachten. 

In Analogie zu den 14 Stationen des Kreuzwegs von Rudolf Heltzel in der Bruder-Klaus-Kirche hat die Künstlerin Mauga Houba-Hausherr ihre Bildfolge zu Stationen im Lebens- und Leidensweg Edith Steins gesetzt. „Edith Stein nimmt ihr Kreuz an, und wie Jesus bricht sie unter der Last zusammen“, sagt Pastoralassistentin Anna Firla, die gemeinsam mit Pastoralreferent Falk Schaberick die Ausstellung begleitet.

Vor dem Bild zur dritten Kreuzwegstation schildert Aleksandra Chylewska-Tölle, die Niederlagen einer leidenschaftlichen Frau, die so gern geheiratet hätte und zwei Mal bitter enttäuscht wurde, die mit Suizidgedanken und Depressionen zu kämpfen hatte. Die als studierte Philosophin vier Mal nicht zur Habilitation zugelassen wurde: in den Zwanziger Jahren nicht, weil sie eine Frau war, und in den Dreißiger Jahren nicht, weil sie Jüdin war. Die Bilder von Mauga Houba-Hausherr zeugen sowohl vom Sterben der Hoffnung im aufziehenden Nationalsozialismus als auch von Edith Steins hartnäckiger Suche nach Gott.

Für Jens Porzucek ist Edith Stein bisher mehr die Philosophin, weniger die Heilige gewesen. Er arbeitet in Moabit, geht oft an den Skulpturen der „Straße der Erinnerung“ auf dem Spreebogen-Areal entlang. Unter einer steht „Edith Stein, Philosophin“. „Also eine Frau auf der Suche nach der Wahrheit. Jetzt trägt die künftige Pfarrei ihren Namen, da werde ich mich mit ihrer Spiritualität befassen. Warum sie sich mit 30 taufen ließ, was sie am Ordensleben faszinierte, in welchem politischen und religiösen Kontext ihr Märtyrertod zu sehen ist.“

Trotz historischer Bedenken gilt Edith Stein in der katholischen Kirche als Brückenbauerin zwischen Religionen. Falk Schaberick knüpft mit dem Stichwort Interreligiosität an: „Neukölln hat da Probleme. Stolpersteine werden zerstört; Muslime und Juden geraten aneinander. Wir müssen also fragen, was wir als Christen für Religionsfrieden und Demokratie tun können. Wir engagieren uns zum Beispiel im Aktionsbündnis ‚Rudow gegen rechts‘ gegen Fremdenfeindlichkeit und für Zivilcourage.“

„Wir wollen jeden Tag ein neues Leben beginnen.“ Dieser Haltung Edith Steins beeindruckt Anna Firla ganz besonders: „Jeden Tag in der Gegenwart Gottes leben, in Niederlagen nicht steckenbleiben sondern immer wieder neu beginnen - das passt doch sehr gut zum Prozess der Pfarreiwerdung und zur neuen Pfarrei.“ Falk Schaberick nickt: „Stimmt. Nicht zurück sondern nach vorn schauen, erkennen und tun, was jetzt dran ist. Und bei allem Gott vertrauen.“  

Langsam gehen die Besucher der Ausstellung den Kreuzweg entlang, lesen das Gedicht der Schriftstellerin Irena Żejmo, das eher ein Gebet ist, schauen sich  die Bilder der Malerin Aleksandra Herbowska-Matera an. Wie Sirka Dettmar, die schon eine ganze Weile vor den Malereien steht: „Mich faszinieren die Farbspiele, das Abstrakte. Ich habe viel Sachliches zu Edith Stein gelesen. Diese kleinen Bilder ohne Titel lassen meinen Gedanken Spielraum.“ Andere sind eher ratlos. Wie Sigrid Kuntze: „Ich tu mich ja schwer mit moderner Kunst“, sagt sie und fügt augenzwinkernd hinzu: „Edith Stein als Pfarreipatronin find ich gut. Wir haben drei Männer als Patrone unsrer drei Gemeinden, da ist eine heilige Frau doch würdig und recht. Sie passt zu Neukölln.“           

INFO:

Ausstellung bis 29. November, reguläre Öffnungszeiten: Di - Fr 15-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr und nach Vereinbarung Ansprechpartner: Pastoralassistentin Anna Firla, anna.firla(ät)erzbistumberlin.de, 0176/61628718, und Falk Schaberick, falk.schaberick(ät)erzbistumberlin.de, 66790135.

Das Projekt wird vom Bonifatiuswerk und dem Kunstbeauftragten des Erzbistums Berlin gefördert.