Vom ersten Spatenstich an Kirche in der (Siemens-)Stadt

Kirchenvorstand Stefan Krögers Herz schlägt für die Kirche und für Siemens. (Foto: Siemens)

Kulturelle Vielfalt und sozialer Frieden sollen herrschen in der Siemensstadt 2.0, so steht’s im Internet. Das Siemens-Gelände liegt zwischen zwei Kirchen: St. Joseph und St. Stephanus. Was könnten Christen, die dort Gottesdienste feiern und ihr Gemeindeleben pflegen, zu diesem Frieden beitragen?, fragt Kirchenvorstand Stefan Kröger und engagiert sich bei den Planungen zur neuen Siemensstadt von Beginn an mit.

Er ist mit Herzblut dabei. Das spürt, wer Stefan Kröger zuhört, wenn er über Kirche in der Stadt, in „seiner“ Siemensstadt, spricht. Der Leiter des Studiengangs BWL bei der Siemens AG befasst sich ehrenamtlich mit dem Zukunftsprojekt Siemensstadt 2.0. Und er überlegt, was es für die Kirchen bedeutet, wenn durch den Neubau von rund 2.800 Wohneinheiten und den Zuzug von gut 7.000 „Neu-Siemensianern“ das Siemens- Areal wächst: Damit dieses Stadtquartier ein lebenswerter Ort wird, „müssen wir Christen uns doch mit unseren Erfahrungen und Ideen einbringen und ja, auch mit unserem Glauben“.

Als Kirchenvorstand der Gemeinde St. Joseph Siemensstadt und Mitglied im Verwaltungsausschuss des Pastoralen Raums Spandau-Nord/Falkensee wirbt er dafür, den rechten Zeitpunkt nicht zu verschlafen. Vom ersten Spatenstich an sollten die Kirchen sich interessieren und mitdenken, „also nicht erst aufwachen, wenn alles in Sack und Tüten ist wie damals bei der Gestaltung des Potsdamer Platzes oder der Hafencity Hamburg“.

Auf einem 70 Hektar großen Areal in der Siemensstadt sollen Arbeiten, Forschen und Wohnen in Einklang gebracht werden. Das wollte man schon bei der Gründung der Siemensstadt, einer „Stadt in der Stadt“ vor mehr als einem Jahrhundert: einerseits ein großflächiger Industriekomplex, andererseits eine nach zeitgenössischem Verständnis moderne Wohnsiedlung mit dreistöckigen Wohnhäusern, begrünten Höfen und locker angelegten Straßen – eine deutliche Absage an die Berliner Mietskasernentristesse.

„Work-Life-Balance“ heißt das ausgewogene Verhältnis zwischen beruflichen Anforderungen und privaten Bedürfnissen heute. In der Siemensstadt 2.0 werden neue Produktions- und Forschungseinrichtungen, Büro- und Gewerbeflächen – zum Beispiel für Start-Ups und Softwareentwickler – entstehen. Parallel dazu sind Kitas, eine Grundschule, Einkaufsmöglichkeiten, Spiel- und Sportplätze, eine öffentliche Bibliothek, Hotels, Restaurants und Grünanlagen geplant.

Christliche Impulse im neuen Kiez

Stefan Kröger stellt die Frage: „Was haben die Neu- Siemensstädter davon, dass im Norden Spandaus und in Falkensee Christen leben?“ Er ist überzeugt: Ein friedliches Miteinander wird möglich, „wenn wir aufeinander zugehen, miteinander reden, uns kennenlernen“. Und der Betriebswirt hat eine Vision – ein Begegnungszentrum. Möglichst in der Mitte des neuen Standorts, etwa in der Nähe des Schaltwerk-Hochhauses. Ein Raum für alle, für Familien und Singles, Mitarbeitende und Studierende, für Kinder wie für Senioren. In einem offenen Begegnungszentrum können Nachbarn sich treffen, miteinander reden, praktische Tipps austauschen, Feste feiern, Kultur erleben. Und vielleicht „selber Spaß finden am Mitgestalten des Kiezes, damit es schön wird“, das würde Stefan Kröger freuen.

Als Träger einer solchen Begegnungsstätte sieht er neben den Kirchen die Wohlfahrtsverbände mit ihren Beratungsangeboten. „Vielleicht könnte sogar eine kleine Kita integriert werden.“ „Unbedingt“ gehört für ihn ein Raum der Stille, der Kontemplation dazu, „in dem Menschen in der ‚Rushhour des Lebens‘ einmal runterschalten dürfen, ihre psychische Widerstandsfähigkeit stärken und den inneren Akku aufladen können“.

Neben ihrer hohen Sozialkompetenz sollten die Kirchen auch Partner im gesellschaftlichen Diskurs sein, wünscht Stefan Kröger sich: „Wir könnten für ethische Probleme sensibilisieren und christliche Lösungsansätze einbringen.“ Er denkt an Themen wie Gerechtigkeit, Menschenrechte, Selbstfürsorge, Arbeitsethik, Bewahrung der Schöpfung oder künstliche Intelligenz.

Für eine Kirche der Zukunft

Die Siemensstadt 1.0., eine komplette Stadt, wurde innerhalb weniger Jahre errichtet, und das auf unerschlossenem Terrain. Das Projekt Siemensstadt 2.0 ist auf zehn Jahre angelegt. Da braucht es langen Atem und kundige Mit-Denkerinnen und Mit-Denker, damit Visionen Wirklichkeit werden. Stefan Kröger hat neben dem Erzbistum, der Caritas und der Ökumene auch die Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin ins Boot geholt. Am dortigen Institut für Religionspädagogik und Pastoral werden Konzepte entwickelt, wie die Präsenz der Kirchen am neuen Standort aussehen könnte, was sich Neu- wie Altbürger von den Christen wünschen und wie der kulturelle und soziale Frieden gefördert werden kann.

Am Projekt Siemensstadt 2.0 seien nicht nur die Gremien der Gemeinde St. Joseph interessiert, betont Stefan Kröger: „Alle Gemeinden des Pastoralen Raumes Spandau-Nord/Falkensee signalisieren Bereitschaft, sich ihren Möglichkeiten entsprechend einzubringen.“ Das habe auch mit der Hoffnung zu tun, so ein Begegnungszentrum könne wie ein Leuchtturm in den gesamten Pastoralen Raum ausstrahlen, neuen Schwung bringen, um Kirche für die Zukunft fit zu machen.

Der Pfarrer von St. Joseph, Dr. Hans Hausenbiegl, verweist in diesem Zusammenhang auf die Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus über „Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft“ (2020). Darin fordert der Papst die Christen auf, dorthin zu gehen, wo sie ihre Geschwister treffen – die am Rande wie die in der Mitte der Gesellschaft. „Ist doch möglich, dass eine Schwester, ein Bruder durch das Handeln und Reden von Christen irgendwann neugierig wird auf Gott und der Glaube Raum gewinnt“, hofft Stefan Kröger. „Ja, ich habe ein Herz für die Kirche und eins für Siemens“, sagt er und lacht.