Predigt in der Christmette 2010

am 24. Dezember 2010, 22:00 Uhr, in der Berliner St. Hedwigs-Kathedrale


Friede den Menschen seiner Gnade
„Verherrlicht ist Gott in der Höhe,
und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“

Der erste Teil des Satzes „Verherrlicht ist Gott in der Hohe“ lässt sich nicht überprüfen (in der Fachsprache: verifizieren, falsifizieren).
Der zweite Teil? Wer sind denn die Menschen seiner Gnade?
Wie verkündigt diesen Satz der Militärseelsorger den Soldatinnen und Soldaten am Hindukusch, denen im Einsatz an den vielen Brennpunkten der Erde?
… nicht nur den Soldaten, sondern auch denen, die auf Schutz warten und sich bedroht fühlen durch Militärs und Terroristen, durch Gewalt jeder Art, heimgesucht durch Katastrophen und Armut und Krankheit …?
Verherrlicht ist Gott.
Ja, selbstverständlich. Wenn Gottes Sohn aus Erbarmen Mensch wird, wenn er den Menschen nahe sein will, wenn er als Gottmensch mit göttlicher Macht und im Namen der Menschen handeln will, - ist dies ein Erweis göttlicher Liebe sondergleichen und eine Verherrlichung Gottes.

Also: ich bekenne: verherrlicht ist Gott in der Höhe, ich bekenne es in Freude und
Dankbarkeit, ich feiere es, heute und immer wieder!
„Und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“
Das ist schwieriger. Gibt es den Frieden wirklich?
Leider schweigen die Waffen an vielen Orten nicht. Und die Waffenarsenale sind in  erheblichem Maße bedrohlich. Und im Innern der Menschen geht es vielfach auch nicht
friedlich zu.
Soll bzw. muss ich sagen: Diese Friedlosigkeit liegt an den Menschen, also an uns?
Ja sicher. Wie ist das dann mit dem Feiern?
War Bethlehem nur ein Angebot?
Es war ein Angebot, und viele haben das Angebot nicht angenommen. Da wäre es uns
vielleicht ganz lieb gewesen, Gott hätte sich mal durchgesetzt, nicht so lange gefragt, ob wir wohl wollten – einen Frieden nach seiner Art.
Frieden wünscht sich jeder Mensch in der letzten Tiefe seines Wesens. Oft aber erkennt er nicht, worin dieser Friede besteht und auf welchem Weg dieser Friede zu erlangen ist. Wie oft nimmt einer sich selbst und seine eigenen Wünsche und Ziele zum Maßstab und bewirkt so – neue Spannungen und verursacht Gewalttaten, also Unfrieden.

Bethlehem sagt: Friede ist bei den Menschen seiner Gnade, das heißt bei denen, die sich auf Gottes Gnade einlassen, auf Gottes Art und Gottes Nähe. Friede ist bei denen, die in dem Kind, das soeben in Bethlehem geboren ist, Gott selbst gegenwärtig glauben.
Dieser letzte Satz spricht eine Ungeheuerlichkeit aus.
Israel, das seit Moses Zeiten durch die Propheten und Schriftgelehrten immer gelehrt wurde, Gott ist Gott und kein Mensch, soll nun in diesem Kind den Gottmenschen erkennen. Israel, das erzogen wurde, dass die Völker, die in einem Gegenstand, einem Bild oder einem Menschen ein göttliches Wesen verehren, auf dem Irrweg sind und verworfen werden, soll nun in diesem Kind an die Nähe Gottes glauben!
Gott ist – nach Israels Glaube und bester Philosophie – unvorstellbar und deshalb auch
unerreichbar, unnahbar und unzugänglich.

Nun aber kommt die Botschaft: Gott kommt uns in einem Menschen, und zwar in einem
kleinen und armen Menschen, nahe. Er ist in einem wirklichen Menschen Immanuel, d.h.
„Gott mit uns“, und wer mit ihm ist, ist ein Mensch göttlicher Gnade.
Ist da der Wunsch Vater des Gedankens?
Psychologen meinen ja: Menschen leiden unter nichts so heftig wie unter Einsamkeit.
Einsamkeit ist etwas anderes als Alleinsein. Einsam sein: nicht gewollt, nicht angenommen sein. Einsam kann einer sein in der Menschenmasse und im überfüllten Haus; er kann eine Trennung durchsetzen, weil er in der Lebensgemeinschaft einsam geblieben ist.
Wenn nun Gott Mensch geworden ist, heißt das: er will uns nahe sein, und zwar allen und
einem jeden. Er nimmt jeden an; und so kann jeder „Mensch seiner Gnade“ sein.
Was ein bloßer Mensch nicht kann, kann Gott: er kann jedem Menschen zu jeder Zeit ganz nahe sein, Anteil nehmen an dem, was ihn bewegt, Freude und Leid, Vergangenes,
Gegenwärtiges und Zukünftiges. Dieser Menschgewordene Gott ist nahe mit seiner Gnade denen, die ihn suchen.So ist Friede, auch dann, wenn – noch nicht – die Waffen schweigen und Unrecht und Gewalt geübt werden. Die diesen Frieden angenommen haben, werden sich aber für das Schweigen der Waffen einsetzen.

„Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“
Ein Angebot Gottes, seit Jesus geboren wurde.
Wenn immer noch nicht Friede ist, setzt Gott das nicht mit Gewalt durch.
Aber das Angebot steht weiter, auch heute und für mich.
Und ich wünsche, dass keiner diese Kirche verlässt, der nicht sagen kann: Ich habe durch das Kind von Bethlehem wahren Frieden gefunden.

Amen.