Predigt während der Herbst-Vollversammlung

der Deutschen Bischofskonferenz im Dom zu Fulda am 23. September 2009

Esra 9,5-9    Lk 9,1-6

Der bleibende Auftrag: das Reich Gottes zu verkünden und zu heilen

1. Wiederholt sich die Geschichte? Sicher nicht. Doch gibt es in den Ereignissen der Geschichte Analogien. Jedes Ereignis ist einmalig und trägt doch Züge, die wiederkehren.

Der Auszug Israels aus Ägypten kann sich nicht wiederholen, auch seine heils-geschichtliche Bedeutung ist singulär. Doch gibt es Anhaltspunkte für einen Vergleich zwischen der Befreiung Israels aus der ägyptischen Knechtschaft und dem Sturz der totalitaristischen Diktatur, den der Mauerfall vor 20 Jahren signalisierte. Sehr bald zieht man auch einen Vergleich bei dem, was folgte, und findet bei beiden Ereignissen zuerst Dank und unbändigen Jubel und schon kurz darauf das Murren und Klagen: „Wären wir doch bei den Fleischtöpfen Ägyptens geblieben und hätten uns den Wüstenzug erspart.“ 

Oder später: Der Perserkönig Kyrus lässt das Volk aus dem Exil nach Judäa heimkehren und Land und Tempel wieder aufbauen, doch der Aufbau geht nur zögernd und ungeordnet vor sich. Propheten müssen mahnen und ermuntern. Nach Jahrzehnten kommt Esra im Auftrag des heidnischen Königs Ataxerxes, um durchzugreifen, dass das Gesetz des Gottes Israels und des Königs befolgt wird. Erst muss  Esra in Buße und Klage Schuld bekennen: „Unsere Vergehen sind uns über den Kopf gewachsen, unsere Schuld reicht bis zum Himmel“, bevor er Gottes Erbarmen preisen kann: „Aber auch in unserer Knechtschaft hat unser Gott uns nicht verlassen“.

Dann kann er Mut machen und den Weg in die Zukunft weisen. 

Und wie ging es nach dem Mauerfall und der lange ersehnten und endlich erlangten Einheit?

2. Von vielen Seiten werden derzeit die Ereignisse des Jahres 1989 in Erinnerung gerufen. Immer wieder werde ich gefragt, ob wir – wer eigentlich? – die Gunst der Stunde erkannt und die sich ergebenden Aufgaben beherzt angepackt hätten. 

Es war nicht leicht, die neue Situation für alle verständlich zu deuten. 

Mit Dankbarkeit können wir immer neu feststellen, dass wir in den neuen Bundesländern und in den neuen Diözesen viel Hilfe und Unterstützung  empfingen und immer noch empfangen. 

Von vornherein war klar, dass Ost und West, Nord und Süd in unterschiedlicher Weise von den politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Umbrüchen betroffen waren und es deshalb auch unterschiedliche Aufgaben für die einen und die anderen gab. Haben wir aber auch rechtzeitig erkannt, dass es schließlich bald gemeinsame Aufgaben gab, dass beispielsweise Säkularisierungsschübe hier wie dort – zwar zeitlich versetzt und bei unterschiedlichen Rahmenbedingungen – vieles gemeinsam haben? 

3. Als Evangelium hören wir heute Worte Jesu aus einer seiner Aussendungsreden, und zwar Worte, die Jesus ursprünglich an die Zwölf richtete in der seligen Frühzeit, im so genannten Galiläischen Frühling. Die Jünger sollten in die Ortschaften gehen und das Gottesreich verkündigen, und zwar so, dass sie die Mächte des Bösen überwinden, die Kranken heilen und die Ankunft der Gottesherrschaft ansagen. Das sollen sie tun ohne Stab und Vorratstasche, ohne Geld und sogar ohne Hemd zum Wechseln – im Vertrauen, dass der Vater für alles Nötige sorgen wird. Wir hören dies heute nicht ohne das Wissen, dass Jesus selbst im Abendmahlssaal sagen wird: für die Zeit der Kirche gilt dieses Gebot der Mittellosigkeit nicht mehr. 

Aber die Botschaft ist immer noch weiterzugeben. Denn noch immer ist es Gottes Absicht, seine Herrschaft kommen zu lassen. Und deshalb gilt generell auch heute noch, dass das Evangelium vom Kommen der Gottesherrschaft unter die Menschen zu bringen ist.

Das ist nun freilich eine sehr allgemeine Umschreibung für unsere Sendung, und die darin gestellte Aufgabe ist innerhalb unseres Landes unter recht unterschiedlichen Verhältnissen und Voraussetzungen zu erfüllen und deshalb auch auf unterschiedliche Weise. Und doch hat sich immer wieder gezeigt, dass bei der Beschreibung pastoraler Aufgabenstellungen in aller Regel leichter ein Konsens herzustellen oder einfach auch nur festzustellen war als in anderen Fragen. 

4. Wie steht es um die missionarische Aufgabe in den Regionen, die durch die friedliche Revolution die Freiheit neu erlangt haben?

Kenner der Situation konnten richtig einschätzen, dass in den östlichen und nördlichen Diasporagebieten nicht in kurzer Zeit mit einem Wachstum des religiösen Lebens und einem Zustrom zur Kirche zu rechnen war. Wenn der ideologische Druck und die ständigen kleinen und gelegentlich größeren Pressionen, die über Jahrzehnte ausgeübt worden waren und ihre Wirkungen gezeitigt hatten, auch nachlassen würden, wären andere Wünsche erst einmal stärker als das Suchen nach Gott.

Dennoch verstanden wir Bischöfe mit unseren Mitarbeitern auch diesen Teil der Welt als Ackerfeld Gottes und uns als Beauftragte, dieses Ackerfeld zu bestellen.

Würde aber hier, so wurde gefragt, nicht zuerst erkennbar und erlebbar sein, was allenthalben als Erwachen des Religiösen und Wiederkehr der Religionen angekündigt und prognostiziert wurde?

Sicher ist in einer entkirchlichten Gegend weniger mit Vorurteilen gegenüber der Kirche zu rechen als dort, wo Kirche als Institution erlebbar ist. Aber ganz entkirchlicht war keine Gegend; erreichbar war Kirche immer noch überall; und die Skepsis gegenüber der Kirche auf Grund langjähriger Indoktrination tiefgreifend. Und auch Menschen, die religiös sein wollen, sind skeptisch gegenüber jeder Institution, weil Institution immer im Verdacht steht, Macht ausüben zu wollen.

Wo Kirche nicht durch ihr geistliches und soziales Wirken anzieht, wird ihre Botschaft auch nicht gefragt. Da gibt es auch nicht so leicht einen Anknüpfungspunkt für die Predigt.

Das Evangelium darf nicht als Doktrin angeboten werden, sondern muss gelebte Wirklichkeit sein.

Niemand kann wünschen, dass eine Region erst einmal so säkularisiert und religiöse Wüste wird, dass die Botschaft auf ahnungslose Menschen trifft, auf Menschen ohne Vorurteile vielleicht, aber auch ohne Vorverständnis. 

Langer Atem ist nötig, damit aus kleinen Pflänzchen Oasen werden, die Lebensräume für viele bieten. 

5. Als Jesus die Zwölf zur Verkündigung aussandte, sollten sie darauf vertrauen, dass Gott die Häuser und die Herzen öffnen würde. Er sprach aber auch wie selbstverständlich davon, dass „die Leute in einer Stadt“ seine Boten nicht annehmen würden. Schon damals. Und die Zeit des Galiläischen Frühlings ist vorbei. 

Der Auftrag zur Verkündigung aber ist geblieben. Und die Möglichkeit der Ablehnung macht uns zu schaffen. 

Dennoch: Bleiben wir unserem Auftrag treu und verkündigen wir das Evangelium, damit die Welt glaube!

Amen.