Grusswort Kardinal Woelki

bei der Gebetsstunde für die Bevölkerung in Ägypten am 22. August 2013 in Berlin

Aufruf zum Gebet für den Frieden am Nil

Liebe Schwestern und Brüder in Christus, lieber Bischof Damian,

gerne bin ich Ihrer Einladung gefolgt, hier an Ihrem Festtag Mariä Himmelfahrt an der Gebetsstunde für den Frieden in Ägypten teilzunehmen. Wenn ich hier auch als Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz stehe, dann stehe ich für viele Christen, in ganz Deutschland, mit denen wir heute im Gebet verbunden sind.

Die koptische Kirche feiert heute das Fest der Aufnahme der Heiligen Jungfrau Maria in den Himmel, sie ist eine der ältesten christlichen Kirchen. Von dort ist das Christentum auch zu uns gekommen. Kopten und Ägypten bilden eine unteilbare Einheit. Heute teilen sie das Land mit Menschen islamischen Glaubens, auch sie sind Nachfahren alteingesessener Ägypter. Man kann Christen wie Muslime äußerlich nicht unterscheiden.

Beide Religionsgemeinschaften verehren die Jungfrau Maria, die Jesus geboren hat und Jungfrau geblieben ist. Beide glauben an die Marienerscheinungen in Zeitun.

Diese Gemeinsamkeit der Identität wollen wir im Vordergrund halten, wenn wir an die Ereignisse denken, die gegen Christen in Ägypten gerichtet war. Die Angriffe gegen Kirchen betrafen alle christlichen Gemeinschaften – Kopten, Katholiken, Protestanten.

Ich bewundere die Zuversicht und das Gottvertrauen des koptischen Papstes, Seine Heiligkeit Tawadros II., der die Christen nach diesen Angriffen aufgefordert hat, nicht mit Gewalt zu reagieren. Er soll gesagt haben: „Verbrennen sie die Kirchen? Dann beten wir in den Moscheen. Verbrennen sie die Moscheen? Dann beten wir in den Kirchen. Verbrennen sie beide? Dann beten wir gemeinsam auf den Straßen, weil wir alle Ägypter sind." In diesem Geiste forderten Christen die mutigen Muslime, die bereit waren, sich schützend vor die Kirchen zu stellen, auf, dies nicht zu tun, ihr wertvolles von Gott gegebenes Leben nicht zu riskieren. Mauern kann man gemeinsam wieder aufbauen. Oder, in den Worten eines Vertreters der Evangelischen Kirche in Ägypten: „Der Verlust kirchlicher Gebäude wiegt schwer, aber er kann nicht mit dem Verlust der vielen Leben verglichen werden, mit dem Schmerz der Wunden und der in den Herzen entstandenen Angst und Furcht vor dem, was in Ägypten heute und in den kommenden Tagen noch alles passieren kann. Gebäude können wieder aufgebaut werden, aber verlorene Leben sind nicht erneuerbar.“

Es ist viel Gewalt in den letzten Tagen in Ägypten ausgeübt worden. Wir wollen für die Seelen der Opfer beten und unsere Anteilnahme ihren Hinterbliebenen mitteilen. Allen Verwundeten und allen, die unter diesen Ereignissen leiden, gehört unser Mitgefühl.

Aber im Geiste von Jesus Christus beten wir auch, dass alle Ägypter, ob einfache Bürger oder Entscheidungsträger, nicht nach gewaltsamer Rache und Vergeltung streben, sondern kompromissbereit das Gespräch suchen und bereit sind zu vergeben. Wir wissen, dass die meisten Ägypter sich nach Frieden sehnen.

Als Christen wollen wir unseren christlichen Brüdern und Schwestern in Ägypten mitteilen, dass wir mit ihnen solidarisch sind und mit Ihnen leiden, auch wenn diese Anteilnahme und Solidarität in den Medien kaum in Erscheinung tritt. Wir wissen, dass die Christen, die mit Muslimen im Orient zusammen leben, immer wieder die Solidarität von Muslimen mit Muslimen in den Medien erleben, wenn Muslime verfolgt werden oder der Islam verspottet wird. Sie teilen die Kultur mit den Muslimen und fragen ganz natürlich, warum die Christen in der Welt nicht so solidarisch mit verfolgten Christen sind, wie Muslime mit verfolgten Muslimen.

Besonders für uns Christen, aber auch für alle Menschen in Europa sollte es selbstverständlich sein zu wissen, dass es sich bei den Christen Ägyptens nicht um einen von europäischen Missionaren importierten relativ neuen kolonialen Restbestand handelt, sondern um Nachfahren der ersten Christen. Sie sind kein Fremdkörper, wie manche ihrer Feinde glauben machen möchten.

Die politische Kultur in Europa ist der religiösen Solidarität entwachsen. Die politische Kultur steht im Zeichen der Menschenrechte, dem Recht auf Leben in Würde. Die Forderung nach einem Recht auf Leben in Würde ist fester Bestandteil der katholischen Soziallehre. Deshalb fordern wir alle politisch Verantwortlichen nicht nur in Ägypten, sondern weltweit auf, nicht zu dulden, dass Hass gepredigt wird und im Namen der Religion zu Mord und Totschlag aufgerufen wird.

Wenn wir uns hier in Berlin-Lichtenberg versammelt haben und um eine friedliche Zukunft für Ägypten beten, will ich in das Gebet mit einschließen, dass das friedliche Zusammenleben auch in dieser Stadt auf eine schwere Probe gestellt ist. Wenn wir es ernst meinen mit dem Frieden, müssen wir hier – vor unserer Haustüre – damit anfangen. Ich appelliere an alle, Provokationen und Aggressionen zu beenden, damit Flüchtlinge und Asylbewerber hier ohne Angst leben können.

Ich schließe mich dem Appell von Papst Franziskus für Frieden in Ägypten an, der am 15. August in Rom gesagt hat: „Beten wir gemeinsam für Frieden, Dialog und Versöhnung in diesem geliebten Land und in der ganzen Welt.“ „Maria, Friedenskönigin, bitte für uns!“

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