Interview mit dem epd zum Thema "Rechtsextremismus"

Dr. Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Berlin, im Interview mit Jens Büttner und Jürgen Heilig (epd) am 16. November 2011

Herr Erzbischof, welche Aufgabe hat die katholische Kirche bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus?

Ich denke, den eigentlichen Kampf müssen wir staatlichen Stellen wie Polizei und Verfassungsschutz überlassen. Als Kirche sind wir gefordert, an einem Klima in unserer Gesellschaft mitzuwirken, das Fremdenfeindlichkeit und Gewalt gegen Minderheiten den Boden entzieht. Wir müssen uns – wie jede andere gesellschaftliche Gruppe auch – prüfen, ob wir in unseren Gemeinden, Einrichtungen und Gremien wachsam sind und „den Anfängen wehren“.
Wir sind in Berlin, Brandenburg und Vorpommern in unterschiedlichen Bündnissen gegen rechts vertreten, auf Landes- oder auf Bezirksebene. Wir engagieren uns in der Gedenkkultur, die gerade in Berlin eine große Bedeutung hat. Über den Diözesanrat oder auch unsere katholische Akademie sind wir auch im interreligiösen Gespräch, da wir wissen, dass insbesondere Muslime und Juden Ziele von rechtsextremen Tätern sind.
In der katholischen Jugend- und Jugendverbandsarbeit tragen wir mit werteorientierter Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft bei. Wir befähigen junge Menschen dazu, gegen Diskriminierung und Gewalt Position zu beziehen, sich für Benachteiligte einzusetzen. Damit fördern wir ein friedliches menschenwürdiges Aufwachsen aller Menschen.

Vertrüge sich Ihrer Ansicht nach das Engagement in einer katholischen Pfarrgemeinde etwa mit aktiver politischer Betätigung für die NPD?

Ich nehme die NPD als eine Partei wahr, die spaltet, aggressiv und ausgrenzend agiert, das verträgt sich nicht mit unserem christlichen Menschenbild.

Viele Migranten beklagen seit langem die Ignoranz gegenüber ausländerfeindlichen Übergriffen. Welchen öffentlichen Beistand können beispielsweise Berliner Türken vom Erzbistum erwarten?

Jeder fünfte Katholik in Berlin ist nicht-deutscher Herkunft, also selbst Migrant und mögliches Ziel ausländerfeindlicher Übergriffe. Ich solidarisiere mich mit jedem Opfer ausländerfeindlicher Gewalt, unabhängig von Religion und Herkunftsland. Für Christen darf es – so naiv das auch klingen mag – keine Ausländer geben.

Forschungen der Universität Bielefeld zufolge birgt eine starke christliche Religiosität die Gefahr einer Abwertung von Minderheiten. Was entgegnen Sie dieser Einschätzung?

Wir sind hier selbst eine Minderheit in einer kulturell und religiös sehr vielfältigen Stadt. Wir müssen uns immer wieder an Johannes Paul II. erinnern, der seine Amtszeit mit dem Satz „Habt keine Angst!“ begann. Ich weiß, dass manche – auch in unseren Gemeinden – Angst haben vor dem Neuen, vor dem Fremden, vor Veränderungen. Wer Angst hat, schottet sich ab, grenzt andere aus, und wehrt sich. Nur wenn wir diese Angst überwinden, keine Angst mehr voreinander haben, dann können wir uns auch begegnen und uns ohne Abwertung auseinandersetzen. Wer andere abwertet, kann sich in keiner Weise auf das Christentum berufen!